Unter der Leitung von Mariss Jansons bestätigten die Wiener Philharmoniker immerhin zeitweise, warum sie als unverzichtbares Kulturgut anzusehen und -zuhören sind.

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Wien – Nun haben sie ihre Dirigate also alle absolviert, die Herren Mehta und Muti, Barenboim und Bychkov, Thielemann, Welser-Möst und Adam Fischer. Jungspund Andrís Nelsons zählte auch zum erlauchten Kreis der Dirigenten der Abonnementkonzerte, und auf seine alten Tage – er feiert im Juli seinen neunzigsten Geburtstag – haben die Wiener Philharmoniker auch die Qualitäten von Herbert Blomstedt entdeckt.

Debussys La Mer glitzerte, Smetanas Schilderung seines Vaterlandes erklang, genauso wie Symphonien der Herren Beethoven, Brahms, Bruckner, Schubert und Mozart sowie beliebte Tondichtungen von Richard Strauss. Mit Musik von zeitgenössischen Komponisten hielt man es wie mit der Verpflichtung von Dirigenten unter 50 (von Dirigentinnen ganz zu schweigen): soll vorkommen, aber bitte nicht allzu oft.

Auch das Dirigat von Mariss Jansons beim letzten Abokonzert wurde zu einem Besuch in einer Wohlfühloase, einer Komfortzone, einem Musikmuseum; ein Besuch, der beglückte, wenn auch ein Mangel an Welthaltigkeit drastischer und verstörender Art festzustellen war. Im Kopfsatz von Dvoráks achter Symphonie folgte auf Vogelgezwitscher ein wenig Durchführungsdrama und finaler Fugato-Ernst. Im Adagio mit seinen oft unbeschwerten Tändeleien wurden die Übergänge zu den von Jansons am spannendsten gestalteten Momenten. Wundervoll das Ineinander von Glück und Wehmut im dritten Satz, blockartiges Nebeneinander von zarter Lyrik (die Celli) und heldischem Rummsassa-Pathos im Finalsatz.

Philies wie ein Luxusauto

Die Philharmoniker agierten wie ein Luxusautomobil: weich abgefedert bei allen Tempo- und Stimmungswechseln. Bei Tod und Verklärung wären bei den dramatischen Höhepunkten mehr Schärfe und Dringlichkeit, mehr Kanten, mehr Wucht möglich gewesen. Die ersten Geigen agierten bei den euphorischen Passagen mit philharmonischer Zurückhaltung – da bringen sich die Kollegen von den deutschen Spitzenorchestern deutlich intensiver in das Spielgeschehen ein. So war Strauss' malerische Schilderung eines Todeskampfes nur in einer sehr guten, aber in keiner außergewöhnlichen Interpretation zu erleben.

Doch bei der zweiten Feuervogel-Ballettsuite von Igor Strawinsky blieben fast keine Wünsche mehr offen. In Sachen der verzaubernden Effekthascherei konnte man den Russen hier als legitimen Nachfolger des vitalen bayerischen Stimmungsmachers erkennen, wundervoll auch die schillernde Instrumentierung des Märchenstoffs. Und so stellten sich beim Tanz des Feuervogels und beim hypnotischen Wiegenlied ultimativer Gefühlszauber und Klangmagie ein und mit ihnen das besänftigende Bewusstsein, was für ein Mittel zwischen Wunderwerk und Kulturgut die Wiener Philharmoniker doch darstellen. Beglückter Applaus. (Stefan Ender, 19.6.2017)